Content
Der grantige Expat
von Thomas Schmid, Bangkok
Foto: TIP-Archiv
Bevor wir in die in der Überschrift angekündigte Materie einsteigen, wollen wir zunächst die darin enthaltenen Worte näher definieren. Das vorwiegend im Alpenraum benutzte Adjektiv „grantig“ würde im Hochdeutschen wohl am besten mit „griesgrämig“ oder auch „mürrisch“ umgesetzt. Und ein „Expat“ (bzw. ein „Expatriate“) ist freilich „eine im Ausland lebende Person“. Es muss sich dabei also nicht unbedingt um einen waschechten Auswanderer handeln, der praktisch alle Brücken zum Mutterland abgebrochen hat, sondern genauso gut könnte es ein Rentner sein, der sich die meiste Zeit des Jahres in seiner (ausländischen) Wahlheimat aufhält oder einen Arbeitnehmer, der von seiner Firma für eine gewisse Zeit – meist mehrere Jahre – ins Ausland entsandt wurde. Ein Urlauber, der sich auf einen ausgedehnten halbjährigen Auslandsaufenthalt begibt, wäre demnach strikt genommen nicht als „Expat“ aufzufassen.
Nachdem wir diese Definitionen nun festgelegt haben, dürfte es klar sein, dass es sich bei einem Großteil der Leserschaft des TIP um „Expats“ handelt, da sie aus den unterschiedlichsten Gründen entweder ganzjährig in Thailand leben bzw. die meiste Zeit des Jahres hier zubringen. Wie viele unter uns aber auch noch das etwas anrüchige Prädikat „grantig“ (oder mürrisch oder griesgrämig) verdienen, das will ich im Rahmen meiner diesmaligen Kolumne erörtern.
Ich selbst rechne mich nicht dazu, auch wenn das nicht unmittelbar deutlich wird, wenn Sie regelmäßig diese Kolumne lesen. Immerhin ziehe ich bisweilen ja ganz schön heftig über Thailand und manche seiner Aspekte her, nicht wahr? Man könnte deswegen den falschen Schluss ziehen und vermuten, dass ich in der Tat ein „grantiger Expat“ bin. Jedoch nennt sich die Kolumne nicht grundlos „Schmids Amboss“. Hier werden ausgewählte Gesichtspunkte unseres Gastlandes, die uns mitunter gehörig irritieren, mit schnellen Hammerschlägen geschmi(e)det und auf diese Weise bloß gestellt. Das lässt dementsprechend nur wenig Platz für „Friede-Freude-Eierkuchen“-Themen, die Sie bis zum Abwinken in anderen Publikationen vorfinden können. Unser ehemaliger Chefredakteur Roy münzte sogar einen treffenden Begriff für sie: Hochglanz-Jubelblättchen.
Also, wenn Sie den Eindruck haben, ich wäre ein verbohrter Griesgram, den alles – ja, wirklich alles! – in seinem selbst erwählten Wohnland aufregt, so befinden Sie sich auf dem spruchwörtlichen Holzweg, geneigter Leser. Die Aufmachung der Kolumne diktiert, über was ich schreibe und über was nicht. Klar, viele Dinge in Thailand bringen auch mich bisweilen tatsächlich auf die Palme. Es gibt jedoch trotzdem auch viele andere Dinge, die mir bis zum heutigen Tag sehr gut gefallen – und sie überwiegen die negativen Aspekte bei Weitem. Im Großen und Ganzen bin ich also zufrieden und lebe gerne hier. Mit dem Negativen habe ich mich arrangiert, ignoriere es; oder ich zerpflücke es in meinen Kolumnen nach Strich und Faden – auch um damit etwas Dampf ablassen zu können. Es existiert nämlich auch kein Zweifel darüber, dass es in Thailand an vielen Ecken und Enden gehörig hapert und dass Aspekte wie z.B. die gedankenlose Vermüllung oder Naturverschandelung, grottenschlechtes Fahrverhalten auf den Straßen (Thailand hat die zweithöchste Verkehrstotenrate der Welt!) und vieles weitere mehr echte Probleme darstellen, die angesprochen werden müssen, wenn eine Besserung erreicht werden soll. Das tun die thailändischen Medien ständig – und „Schmids Amboss“ leistet einen bescheidenen deutschsprachigen Beitrag zu diesen einheimischen Anstrengungen; nicht mehr und nicht weniger.
Und dennoch: Wenn ich mich zur Inspiration für neue Kolumnen in englisch- oder deutschsprachigen Expat-Foren umsehe, so fällt mir immer wieder auf, dass eine Mehrheit der Beiträge und Kommentare in die Sparte „grantig, griesgrämig, mürrisch“ zu fallen scheint. Man beklagt sich über die oberflächlichsten Dinge, die manchmal so unerheblich und schwachsinnig sind, dass man sich an den Kopf fasst.
Erst neulich stieß ich auf einen Beitrag, in dem sich ein Deutschsprachiger unsäglich darüber mokierte, dass ein Elektroartikel, den er in einem Bangkoker Kaufhaus erworben hatte, „nur mit einer thailändischen und englischen Gebrauchsanweisung kam“, aber keiner deutschen. Wie bitte? Man fragt sich zu Recht, ob sich vielleicht auch in Deutschland lebende Thailänder beschweren würden, wenn ihr gekaufter Elektroartikel nur eine deutsche Gebrauchsanweisung enthielte, jedoch keine auf Thailändisch verfasste. Ich denke nicht, es käme zu Beanstandungen in einem Internet-Forum. Der betreffende thailändische Expat wäre sich nämlich nur allzu bewusst, dass er in Deutschland lebt – und dort wird in aller Regel eben Deutsch verwendet, was auch für Gebrauchsanweisungen gilt.
Ein weiterer Kommentar, über den ich stolperte, betraf den Umstand, dass man in einer gewissen nordostthailändischen Provinzstadt nicht in jedem Tante-Emma-Laden deutsches Weizenbier (Weißbier) erwerben könne. „Sogar unser Tesco hatte nichts auf Lager“, brüskierte sich der betreffende Schreiber – und war sich wahrscheinlich sicher, dass seine Beschwerde absolut legitim war. Wiederum fragte ich mich: Hätte sich der Schreiber ein Dschungelstädtchen im Kongo zu seiner Wahlheimat auserkoren, hätte er auch dort in einem örtlichen Expat-Forum einen solch dümmlichen Kommentar hinterlassen? Man muss doch wirklich gewisse Abstriche machen, wenn man sich entscheidet, sich in einem exotischen Land niederzulassen, oder etwa nicht? Und dann auch noch in einem Provinznest!
Betreffend deutsches Bier, so sind wir in Bangkok – aber auch in vielen der größeren Städte und vor allen Dingen in den Touristenhochburgen – inzwischen bestens versorgt. Allerdings muss man selbst in einem Supermarkt für eine 0,3-Liter-Flasche deutschen Gerstensaftes in aller Regel weit mehr als 100 Baht bezahlen. Das Bier ist halt importiert und mit Steuern belegt. Das wollte jedoch einem weiteren Forenmitglied nicht so ohne weiteres einleuchten, denn er beschwerte sich bitterlich über den „horrenden Preis“. Dazu kann ich eigentlich nur sagen: Wer sich entschließt, nach Fernost zu ziehen und dort trotzdem weiterhin seinen deutschen Lebensstil zu zelebrieren gedenkt, der muss dafür ganz einfach etwas tiefer in die Tasche greifen. So ist das! Ich war letzten Monat auf Kurzbesuch in Deutschland. Im örtlichen Asien-Laden wurde eine kleine Flasche Singha-Bier für mehr 3 Euro verkauft. Und ich sah keinen einzigen Thailänder, der sich darüber aufgeregt hätte.
Am schlimmsten sind aber die ewigen Grantler, die sich über ihre Kommunikationsschwierigkeiten in Thailand auslassen. Man baut sich im thailändischen Hintertupfingen ein Häuschen und wundert sich, dass man sich dort mit den Nachbarn und den aus freien Stücken angeschafften neuen Familienmitgliedern nicht auf Deutsch unterhalten kann. Ehrlich! Damit aber nicht genug, denn auch mit dem eigenen Englisch hapert es mitunter gewaltig (sprich: es ist praktisch nicht existent). Aber möglicherweise Thailändisch zu erlernen … na, das mutet man sich dann aber doch „unter keinen Umständen“ zu, weil es „zu schwierig ist“, weil man sich selbst als „zu alt“ fühlt, weil man „kein gutes Sprachgefühl“ hat – oder welche windigen Ausflüchte man auch vorbringen möchte. Stattdessen wird gemosert, dass sich die Balken biegen. Dabei habe ich das laue Gefühl, dass es genau diese gleichen, mitunter bereits seit Jahren in Thailand sesshaften Griesgrame wären, die sich – sofern sie wieder in Deutschland leben würden – unglaublich über einen Thailänder aufregten, der „auch nach zwei Jahren immer noch kein anständiges Deutsch kann“. Sie verlangen von jedem anderen, sich anzupassen. Selber anpassen wollen sie sich allerdings aber nicht. Es ist ein echtes Armutszeugnis, ganz zu schweigen von der an den Tag gelegten Arroganz, finden Sie nicht, geneigter Leser?
Ich könnte mit ähnlichen Beispielen noch mehrere Seiten füllen, aber auch mit der kleinen Handvoll der obig aufgeführten konnte ich Ihnen sicherlich einen Eindruck vermitteln, was ich unter einem „grantigen Expat“ verstehe. Ich glaube, es liegt in der Natur des Menschen, über Dinge herzuziehen, die einem persönlich gegen den Strich gehen. Wird dieses Mosern jedoch zur beinahe krankhaften Gewohnheit, bzw. wird nur noch um des Moserns willen gemosert, so läuft etwas gewaltig falsch im Staate Dänemark. Übrigens sind wir Deutschsprachigen in Sachen Mosern beileibe nicht alleine auf weiter Flur. Auch englische, nordamerikanische, französische – und woher sie auch alle stammen mögen – Expats ziehen in ihren jeweiligen Foren über so ziemlich jeden Aspekt Thailands her. Besuchen Sie bei Gelegenheit einmal das sehr populäre, englischsprachige Forum von ThaiVisa.com. Ihnen werden die Ohren schlackern, was für giftige Galle dort in schöner Regelmäßigkeit gespuckt wird. Sind diese Menschen tatsächlich so verbittert, wie es den Anschein hat? Wenn man mit seinen Lebensumständen so unzufrieden ist und dem Gastland rein gar nichts mehr abgewinnen kann oder will, sollte man wirklich erwägen, in ein neues Land umzuziehen, das einem vielleicht mehr zu bieten hat.
Es wird Sie jedoch vielleicht überraschen, geneigter Leser, wenn ich Ihnen nun sage, dass diese Klasse „grantiger Expats“ nicht auf Thailand beschränkt ist. Ob in Paraguay, Namibia, den Philippinen, Kanada oder Kasachstan: Überall finden sich Massen dieser mit sich selbst unzufriedenen Stänkerer. Jawohl, selbst wenn sie in ihre ursprünglichen Heimatländer zurückkehrten, so vermute ich stark, dass ihr Stunkmachen in keinster Weise nachlassen würde. Wer ein unverbesserlicher Griesgram ist, macht sich und seiner Umwelt das Leben zur Hölle, egal wo er lebt. Da haben wir dann den mürrischen Rentner, der den ganzen Tag nur am Fenster sitzt, um sich über die lärmenden Kinder auf der Straße aufzuregen, es unerhört findet, dass der Briefträger heute zehn Minuten später vorbeischaut als üblich, oder dem es auf den Keks geht, dass die Nachbarin, welcher die Kehrwoche zufällt, am Samstagmorgen nicht Punkt 8 Uhr mit dem Besen und Putzeimer angetreten ist. Solchen Leuten ist einfach nicht zu helfen und sie machen sich selber das Leben schwerer als es zu sein bräuchte.
Und wenn Sie das nächste Mal „Schmids Amboss“ lesen und ich darin wieder ein bestimmtes Thema sehr kritisch beleuchtet und zerpflückt habe, seien Sie bitte gewahr, dass ich mich nach dem Aufsetzen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit meinen thailändischen Nachbarn auf einen Umtrunk zusammensetzte, ein heiteres Gespräch auf Thailändisch mit ihnen anstrengte und alle Fünfe gerade sein ließ. Ach, und übrigens beklagten wir uns dabei alle über das für die vorherrschende Jahreszeit viel zu heiße Wetter – die Einheimischen und der deutsche Expat gleichermaßen, versteht sich. Prosit!
Erschienen in der TIP-Ausgabe 2015-12