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Freude am Schmerz

Gewalt
Foto: Alexas

In Sachen Gleichberechtigung der Geschlechter hinkt Thailand westlicher Auffassung um Jahrhunderte hinterher. Hierzulande regiert der Chauvinismus. Körperliche Misshandlung von Frauen, die im Westen als unzivilisiert und vor allen Dingen auch als ungerechtfertigt verdammt werden würde, gehört hierzulande zur Tagesordnung. Andrew Biggs, Sonntagskolumnist der englischsprachigen Tageszeitung Bangkok Post, analysiert die Situation anhand von zwei Fällen, die vor kurzem für Schlagzeilen sorgten; übersetzt von Thomas Schmid.

Erlauben Sie mir, Ihnen zunächst zwei ähnliche Situationen vorzustellen, die sich in letzter Zeit in Thailand ereignet haben und von der einheimischen Presse berichtet wurden:
Ein Sporttrainer griff ein Mitglied einer Frauen-Sportmannschaft tätlich an und schlug sie vor den Augen des ganzen Teams wiederholt auf den Kopf und die Schultern, nur weil sie angeblich dafür verantwortlich war, dass die Mannschaft ein Spiel verloren hatte.

Ein bekannter Politiker ohrfeigte seine Ehefrau wiederholt so brutal, dass sie schwere Prellungen und Blutergüsse im Gesicht und am Hals davontrug. Die Verletzungen wurden mit Fotos dokumentiert, die durch die einheimischen Medien geisterten.
Als moderner Weltbürger stellt man sich bei diesen beiden Vorfällen sicherlich auf die Seite der Frau und verurteilt das Vorgehen der beiden Männer. Wir streben danach, als zivilisierte, vorwärts blickende Zeitgenossen zu gelten. In einer zivilisierten, vorwärts denkenden Gesellschaft ist einfach kein Platz für Gewalt gegen Frauen.

Aber was würden Sie nun sagen, wenn ich Ihnen erzählte, dass in beiden Fällen die allgemeine thailändische Gesellschaft sich nicht auf die Seite der betreffenden Frauen stellte? Was würden Sie denken, wenn Sie erführen, dass der generelle Konsensus in beiden Fällen war, dass die beiden Frauen lediglich erhielten, was sie verdienten? Im zweiten Fall wurde der Mann von mindestens einem seiner Zeitgenossen sogar noch gelobt, nachdem es herausgekommen war, was er getan hatte!

Ich selber entstamme einer Gesellschaft, in der Macho-Gehabe und Akte mutwilliger Gewalt hoch im Kurs stehen, besonders nach mehreren Flaschen Bier. Dennoch impft meine Gesellschaft Mitbürgern bereits von Kindesbeinen an das Mantra „Eine Frau darf niemals geschlagen werden!“ ein.

Klar, auch uns Australiern rutscht schon einmal die Hand aus und wir schlagen unsere Frauen. Fast immer geschieht das im Rahmen häuslicher Auseinandersetzungen. Als ich noch ein Jungjournalist war, musste ich oft auch an Feiertagen arbeiten. Die allermeisten Nachrichten, die an solchen arbeitsfreien Tagen eingingen, drehten sich um Fälle häuslicher Gewalt. Ostern, Weihnachten, der Geburtstag von [Australiens Staatsoberhaupt] Königin Elizabeth II: Wann immer Familien praktisch dazu gezwungen waren, Zeit miteinander zu verbringen, trudelten in unserer Redaktion fast ausschließlich Nachrichten häuslicher Gewalt ein.

Meine Polizeikontakte hassten es, entsprechenden Anzeigen von Nachbarn nachzugehen. Sobald sie nämlich an der jeweiligen Adresse anklingelten und die angeblich misshandelte Ehefrau die Tür öffnete, stellte sie sich fast ausnahmslos sofort auf die Seite ihres Mannes und forderte die Beamten auf, gefälligst Leine zu ziehen und sich nicht einzumischen.

Wir Australier sind freilich nicht die einzigen Frauenschläger auf der Welt. Das Phänomen ist universal und manifestiert sich offensichtlich auch in Thailand, wo Frauen sowohl vor zu starker Sonnenstrahlung als auch vor den leicht ausrutschenden Händen ihrer Ehegatten oder Boyfriends geschützt werden müssen. Die beiden anfangs beschriebenen Fälle, die sich kurz hintereinander ereigneten, haben das anschaulich bewiesen. Genauso wie die australische Gesellschaft, so missbilligt auch die thailändische offiziell Gewalt gegen Frauen – ausgenommen sie ist aus disziplinären oder karmischen Gründen notwendig, versteht sich.

Kann Gewalt gegen Frauen aber jemals gerechtfertigt werden? In unserem ersteren, wohl dokumentierten Fall beschimpfte der sehr erfolgreiche Trainer der thailändischen Taekwondo-Frauennationalmannschaft zuerst einmal die 23-jährige Spielerin Nong Koi, bevor er sie dann mit brutalen Ohrfeigen bedachte. Allerdings erhaschte sie sich dafür keineswegs das Mitgefühl der thailändischen Medien. Der Trainer ist nämlich ein Koreaner, der dank seines strikten koreanischen Trainingsstils das Team im Verlauf der letzten zehn Jahre von Sieg zu Sieg geführt hatte. Thailand muss sich also nicht mehr länger nur auf Boxen und Frauen-Gewichtheben verlassen, um bei internationalen Sportveranstaltungen Medaillen zu gewinnen.

Die Geschichte, die sich enthüllte, war ziemlich simpel: Nong Koi trat zusammen mit ihren Eltern in der beliebten Show Rüang Lao Chao Nee des Fernsehkanals 3 auf. Sie erzählte, sie wäre von Trainer Chae für die Sünde geschlagen worden, bei dem betreffenden Spiel versagt zu haben. Für eine kurze Zeitspanne – weniger als 24 Stunden – war Thailand zutiefst entrüstet und so mancher wollte Südkorea sofort den Krieg erklären. Dann kamen ein paar weitere Fakten ans Tageslicht. Es schien Nong Koi hatte es bei ihrem Sport ein wenig schleifen lassen, und das schon bereits für einige Zeit vor ihrem „Versagen“. Zu dem Wettkampf erschien sie verspätet. Außerdem hatte sie für das Spiel nicht trainiert. Letztendlich verlor sie das Spiel für ihr Team, aber nicht wegen mangelnder Begabung, sondern weil sie ihren Sport nicht ernst genug genommen hatte. Und dafür hagelte es Ohrfeigen und Schläge.

Doch rechtfertigt der Umstand, dass Nong Koi angeblich nicht das unschuldige, unterwürfige Mädel ist, für das wir sie gehalten hatten, dass Trainer Chae sie nicht nur anständig ohrfeigte, sondern ihr auch noch ein paar Faustschläge in den Magen verpasste? Die Antwort: Jawohl, es ist gerechtfertigt! Der Trainer Chae, der sich in Korea aufhielt, als der Vorfall bekannt wurde, drohte sofort damit, nicht nach Thailand zurückzukehren. Daraufhin rastete das Land des Lächelns vollkommen aus.

In Thailands Kultur ist eine Form der Bußfertigkeit verankert, die unter dem einheimischen Begriff „grab“ läuft. Es ist der Akt, sich vor einer Person, der man Falsches angetan hat, auf den Boden niederzuwerfen und vor ihren Füßen die Geste des „wai“ [das Zusammenlegen der Handflächen] auszuführen. [Auf gut Deutsch bezeichnen wir das als „einen Kotau machen“.] Es ist ein Akt vollkommener Reue, der für den Ausführenden nicht erniedrigender sein könnte. Thailand machte vor Trainer Chae also einen Kotau und lamentierte: „Bitte komme zu uns zurück, das Land braucht Dich doch! Alles ist vergeben und vergessen!“ Als Trainer Chae sich dann endlich erbarmte, nicht mehr die beleidigte Leberwurst spielte und zurück nach Thailand reiste, wurde er am Flughafen Suwannaphum von tausenden bunte Luftballons schwenkenden Einheimischen wie ein Held begrüßt.

Ich habe schon seit jeher moniert, wie wenig Aufmerksamkeit thailändischen Schülern oder Studenten gezollt wird, die für ihr Land Preise in internationalen Wissenschafts-, Mathematik- oder Musikwettbewerben gewinnen. Sie kehren nach Thailand zurück und werden lediglich von ihren Eltern, einigen nahen Verwandten und vielleicht sogar noch einem oder zwei Regierungsvertretern empfangen. Da gibt es keine Marschkapelle, keine Konfettiparade, keine jubelnde Menschenmasse mit Luftballons so wie bei Trainer Chae. Das wäre vielleicht ganz anders, wenn diese Jungwissenschaftler oder jungen Musikgenies eine der Schiedsrichterinnen während des jeweiligen Wettbewerbs mit schallenden Ohrfeigen bedacht hätten.

Noch skurriler im Fall Nong Koi war es, dass die 23-jährige Sportlerin es sogar für nötig empfand, sich bei Trainer Chae dafür zu entschuldigen, dass sie ihm „so viele Probleme bereitet“ hatte. Wenigstens ließ das den ihr von der thailändischen Öffentlichkeit entgegengebrachten Zorn wieder abflauen.

Unmittelbar nach diesem ersten Fall machte sodann Fall 2 nationale Schlagzeilen. Eine populäre, mit einem Lokalpolitiker verheiratete Seifenopern-Schauspielerin veröffentlichte Fotos ihres von Prellungen und Blutergüssen übersäten Oberkörpers. Von Anfang an bestanden keinerlei Zweifel darüber, wer ihr das angetan hatte. Jeder, der den Hintergrund [des Politikers] kannte, gab sich entrüstet. Dennoch gab es kein Mitgefühl, kein Mitleid für Janie, die Schauspielerin. Stattdessen erhoben sich Stimmen von „Geschieht ihr recht!“.

Wenn es etwas in Thailand gibt, das noch schlimmer ist als ein Mann, der seine Frau schlägt, dann ist es eine Frau, die einen Ehemann von seiner Gattin fortlockt. Die Schauspielerin hatte etwa ein Jahr zuvor aber angeblich genau das getan. Janie wurde nämlich dafür verantwortlich gemacht, dass die Ehe zwischen einer von Thailands beliebtesten Sängerinnen und eben jenem Lokalpolitiker in die Brüche gegangen war.

Dabei darf ich noch hinzufügen, dass der betreffende Lokalpolitiker von der thailändischen Öffentlichkeit beileibe nicht besonders geliebt wird. Er entstammt nämlich einer einflussreichen Familie, deren Oberhaupt [also sein Vater] aufgrund einer Anklage wegen Korruption vor rund fünf Jahren nach Kambodscha flüchtete. [Inzwischen wurde der Betreffende übrigens in absentia von einem thailändischen Gericht zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er befindet sich jedoch nach wie vor im Ausland.]

Die Sängerin – also die erste Ehefrau des Lokalpolitikers – wird in dem ganzen Drama allerdings als das eigentliche Opfer angesehen, nachdem die jüngere und attraktivere Janie ihr angeblich den Gatten entfremdet und entrissen hatte. In den thailändischen Medien wurde dieser Umstand recht blumenhaft mit „[Janie hat] die Zuneigung des Mannes an sich gelockt“ umschrieben. Ist das nicht wundervoll? Man könnte fast glauben, thailändische Männer hätten überhaupt keinen Einfluss darauf, wem sich ihre Zuneigung zuwendet und sie werden auch nicht verunglimpft, wenn diese Zuneigung, der sie ja nicht selber Herr sind, von der Ehegattin an eine andere Frau weiterwandert.

In Thailand ist es ein kulturelles Tabu, einer Frau den Ehemann zu stehlen. Wer es dennoch macht, darf sich keinerlei Mitgefühl erhoffen. Das entdeckte auch Janie als sie vor einem Jahr vor der versammelten Presse ihre Heiratsurkunde schwenkte unter dem Gerücht, sie wäre bereits schwanger von dem Lokalpolitiker. Ihn wiederum traf natürlich absolut keine Schuld, dass er seine Gattin verließ und lieber mit Janie anbändelte. Immerhin ist er ja genauso wie so ziemlich jeder andere thailändische Mann „nicht Herr seiner Zuneigung“, sondern sie wird stets nur von Frauen „weggelockt“.

Lediglich ein Jahr später wedelte Janie vor der Presse freilich mit Fotos ihres blutunterlaufenen Gesichts. Am letzten Montag [28. Juli] bestieg sie sodann ein Flugzeug in die Vereinigten Staaten – und noch bevor sie mit einer Scheidungsurkunde herumwedeln konnte.

Die Öffentlichkeit ergötzte sich nicht so sehr an der Genugtuung, dass Janie [von dem Politiker] körperlich angegriffen worden war, sondern vielmehr daran, dass sie den Angriff „redlich verdient“ hatte, denn er war selbstverständlich nur Konsequenz und Ausdruck des schlechten Karmas, das sie sich selber aufgebürdet hatte [Sie hatte die Zuneigung des Politikers zu sich gelockt!].

Deshalb nochmals zurück zur Frage „Kann Gewalt gegen Frauen jemals gerechtfertigt werden?“ Frauenrechtlerinnen mögen nun vielleicht laut aufheulen und sind sogar wie versteinert, zu hören, dass die Antwort auf diese Frage in einem Land, das die Heimat einiger der schönsten Frauen auf der Welt ist sowie einer Kultur, die Zuvorkommenheit und Höflichkeit über alles schätzt, leider nur ein lautes „Ja!“ sein kann. Möglicherweise hat es Thailand aber unbedingt nötig, seine kulturellen Wertauffassungen in dieser Hinsicht gründlich zu überholen und umzuformulieren.

Erschienen in der TIP-Ausgabe 2014-10

 

 

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