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Seltsame Essbräuche näher beleuchtet

von Thomas Schmid, Bangkok

Gin KhaoFoto: TIP-Archiv

Mein allererster Thailandurlaub vor fast 25 Jahren kam ziemlich überstürzt zustande. Eigentlich wollten mein Onkel und ich nach Rio de Janeiro, um dort den Karneval mitzuerleben. Im Reisebüro (damals musste man sich tatsächlich noch persönlich dorthin begeben, denn das Internet war unbekannt) stellte sich jedoch heraus, dass die Preise während dieser Zeit maßlos überteuert waren. Das Reisebüro schlug uns deshalb Thailand vor. Ganze drei Wochen kosteten dort weniger als eine einzige Woche Rio, meinte die Besitzerin und fügte hinzu: „Außerdem ist dort sowieso das ganze Jahr über quasi Karneval.“ Ich kaufte mir zwar noch einen Reiseführer, aber zum Lesen blieb nicht mehr viel Zeit. Ich hatte gerade noch mitbekommen, dass in Thailand meist nur mit Löffel und Gabel gegessen wird. Ich war ziemlich erstaunt, denn eigentlich hätte ich in meiner Naivität erwartet, dass man dort „wie überall in Asien“ mit Stäbchen isst. Freilich meinte der Reiseführer aber auch, dass man bei chinesischen Gerichten – vor allen Dingen Suppen – in der Tat Stäbchen benutze. „Tolle Diätidee“, dachte ich mir, „wenn man eine Suppe mit Stäbchen auszulöffeln versucht. Kein Wunder sind alle Asiaten so rank und schlank.“ Ach ja, jugendliche Ignoranz hat schon etwas für sich.

In der Zwischenzeit habe ich natürlich viel dazu gelernt. Es macht tatsächlich Sinn, die Suppeneinlagen, einschließlich der oft ellenlangen Nudeln, mit Stäbchen aus der Schüssel zu fischen. Für die Bouillon gibt es sodann noch einen etwas seltsam geformten Löffel dazu. Auch das Essen anderer Gerichte nur mit Löffel und Gabel gewappnet macht Sinn. Die Zutaten der zum gedämpften Reis gereichten Gerichte sind allesamt in mundgerechte Stücke geschnitten und daher ist ein Tafelmesser so unnötig wie ein Kropf. Dass die Thais zumindest damals absolut keine Ahnung hatten, wie man ein solches verwendet, zeigte sich mir auf dem Nachhauseflug recht anschaulich. Neben mir saß ein junger Thailänder, der offensichtlich einen etwas älteren deutschen Herrn begleitete. Über das Verhältnis der beiden habe ich mir damals ziemlich den Kopf zerbrochen, aber wir wollen einmal annehmen, dass der Thaijüngling vielleicht der adoptierte Sohn des Deutschen war, obwohl die nervtötende gegenseitige Liebkosung, die sporadisch stattfand, doch eher den Eindruck eines Liebespaares bei mir hinterließ. Wie dem auch sei, das Essen wurde serviert. Natürlich gab es neben Löffel und Gabel auch ein Messer dazu. Sie wissen schon, diese Plastikdinger, mit denen man mehr sägt als schneidet. Mit eben diesem wusste der junge Thai allerdings gar nichts anzufangen. Stattdessen versuchte er verzweifelt, sein riesiges Stück gebratener Hühnerbrust mit dem Plastiklöffel zu zerteilen, was natürlich fehlschlug. Sein Begleiter führte ihm sodann vor, wie man das Messer zu benutzen hätte, was der Jüngling aufmerksam, aber etwas stutzig, mit verfolgte.

Jahre später – ich hatte mich inzwischen in Thailand niedergelassen – besuchte ich das damals einzige westliche Steakrestaurant Bangkoks, viel besucht von Diplomaten und Thailändern der Elite. Ein elegant gekleideter Einheimischer am Nebentisch hatte sich ein sündhaft teures Filet Mignon-Steak bestellt. Es wurde nur mit Gabel und Steakmesser serviert. Wie selbstverständlich begann der Herr damit, das gesamte Steak in mundgroße Würfelchen aufzuschneiden. Als dies vollbracht war, rief er nach der Kellnerin und bat sie höflich um einen Suppenlöffel. Als dieser eingetroffen war, begann er, sein gewürfeltes Steak so zu verzehren, wie er es gewohnt war: Mit der Gabel wurde Würfel um Würfel auf den Löffel geschoben, der sodann zum Mund wanderte.

Mittlerweile sind auch die Thais im Allgemeinen mit der Verwendung eines Tafelmessers vertraut, daher dürften solche Szenen heutzutage eher schwierig mitzuerleben sein, ausgenommen, man befindet sich in der tiefsten Provinz. Dabei gehören auch Löffel und Gabel durchaus nicht seit Angedenken zum Grundzubehör für ein thailändisches Mahl. Eingeführt wurden diese Utensilien erst im späten 19. Jahrhundert. Der damalige König fand es unschicklich, dass seine Untertanen ihre Mahlzeiten mit den Händen zum Munde führten; dabei ausschließlich mit der Rechten. Die linke Hand galt als unrein, benutzte man sie doch zum Reinigen des Allerwertesten nach dem Toilettengang. Gabel und Löffel haben die Thais also mitnichten ihrem eigenen Wunsch nach zivilisierterer Nahrungsaufnahme zu verdanken, sondern der Absicht eines Monarchen, das Land westlicher Kultur näher zu bringen. Allerdings hat sich in vielen ländlichen Gebieten das Essen mit der Hand bis heute gehalten. Und wie gesagt sind selbst Essstäbchen keine thailändische Erfindung, sondern kamen zusammen mit chinesischen Gerichten in Gebrauch.

Die Verwendung von Gabel und Löffel bedeutet aber immer noch nicht, dass das Einnehmen einer thailändischen Mahlzeit stets sehr hygienisch wäre. Wie sie sicherlich wissen, geneigter Leser, sind thailändische Mahlzeiten eine gesellschaftliche Affäre. Sie umfassen mehrere unterschiedliche Gerichte, von denen sich jeder der Esser nach Lust und Laune etwas auf seinen persönlichen Reisteller häufen darf. Eigentlich ist das auch eine gute Sache, denn dadurch erlebt man während eines einzigen Mahls eine Fülle unterschiedlicher Geschmackssensationen. Unappetitlich wird es allerdings, wenn jeder mit seinem speichelbenetzten Esslöffel im Curry oder in der Suppe herum fischt. Vielleicht ist diese Unsitte der Grund, weshalb rund 80 Prozent der Thais angeblich Träger chronischer Hepatitis B sind, die durch Körperflüssigkeiten (also auch Speichel) übertragen wird. Zwar wird heutzutage in den meisten Restaurants zu jedem Gericht ein separater Servierlöffel gereicht, aber das hält thailändische Tischgäste in der Regel nicht davon ab, immer noch mit dem eigenen Esslöffel in den Gerichten herumzustochern. Man muss sich an solches Verhalten einfach gewöhnen und vor allem stets seine Hepatitis B-Impfung aktuell halten.

Etwas unangenehm berührt war ich ehedem auch, als mir auffiel, dass anstatt Papierserviette in vielen Restaurants eine Klopapierrolle auf dem Tisch steht. Ursprünglich dachte ich, das wäre ein zusätzlicher Service des Restaurants, sollte jemand bei dem oft recht tüchtig gewürzten Essen Hals über Kopf einen Gang zur Toilette anstreben müssen. Ich bin natürlich eines Besseren belehrt worden. Toilettenpapier ist simpel und einfach bedeutend billiger als reguläre Papierservietten und erfüllt genau denselben Zweck, nämlich sich den bekleckerten Mund abzuwischen. So universell ist der Gebrauch von Toilettenpapier bei Tisch, dass die Rollen oft sogar in Plastikbehältern untergebracht werden. Am oberen Ende befindet sich ein Loch, aus dem man sich einige Blätter Papier herausziehen und abreißen kann. Eine ganze Industrie hat sich herausgebildet, die diese Behälter herstellt und angesichts der weiten Verbreitung jener einen Mordsumsatz einfahren muss.

Haben Sie sich schon einmal eine Pizza ins Haus bestellt, geneigter Leser? Falls ja, so waren Sie sicherlich überrascht, weshalb die ohnehin schon reichlich mit Tomatensoße durchweichte Pizza noch mit zig Päckchen Tomatenketchup geliefert wird. Also ehrlich, wer würde sich noch zusätzlich Ketchup auf die Pizza kleistern? Die Antwort: die Thailänder! Man ist es gewohnt, grundsätzlich alles von der Suppe bis zum gebratenen Reis am Tisch mit allerlei Spezereien nachzuwürzen, weshalb also nicht auch die Pizza. Selbst in einem gediegenen italienischen Restaurant in Bangkok, das seine Pizzas als „absolut authentisch“ anpreist, erhalten Sie bei Verlangen ohne weiteres eine Flasche Ketchup, ohne dass der Pizzakoch auch nur mit der Wimper zuckt oder in Horror die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und lauthals „Mamma Mia!“ krakelt.

Auch beim Trinken gibt es hierzulande Sitten, mit denen man sich erst einmal anfreunden muss. Bier wird in aller Regel eiskalt serviert, oft sogar in noch extra tiefgekühlten Gläsern. Es ist eine wahre Wohltat, sich bei der vorherrschenden Hitze den goldgelben, eiskalten Gerstensaft in die ausgedörrte Kehle rinnen zu lassen. Bevor Sie dazu aber Gelegenheit haben, fragt Sie die freundliche Kellnerin, ob sie Ihnen einige Eiswürfel in ihr Glas geben soll. Sicherheitshalber hat sie dazu ungefragt bereits einen Eiskübel mit auf den Tisch gestellt. Als Mitteleuropäer und langjähriger Biertrinker mögen Sie auf eine solche Frage anfangs vielleicht etwas ungläubig reagieren. Bald stellen Sie jedoch fest, dass Eiswürfel im Bier im Lande der Freien ein alltäglicher Sachverhalt sind. Der Grund ist in der Vergangenheit zu suchen. Zwar waren industriell hergestellte Eiswürfel, die täglich angeliefert wurden, stets verfügbar, aber nicht jedes Trinketablissement hatte einen Kühlschrank. Bier wurde bei Zimmertemperatur serviert, und was das in Thailand bedeutet, wissen Sie ja: 30 Grad. Da machte die Zugabe von Eiswürfeln schon Sinn, denn warmes Bier ist ein abscheuliches Gesöff. Jedoch hat sich die Methode trotz Einführung von Kühlschränken und selbst gekühlten Zapfhähnen bis heute gehalten. Vielleicht ist es ja aber auch nur eine Masche, um die Gäste zu schnellerem Trinken anzuspornen, denn verwässertes Bier ist mindestens ebenso schlimm, wie warm-schales. Das ist jedoch nur eine Theorie.

Sind Sie eher stärkeren Tropfen zugeneigt, wie beispielsweise Whisky, so dürfte Ihnen bekannt sein, dass dieser hierzulande zumeist mit viel, viel Sodawasser getrunken wird. Auch das hat einen Grund. Besonders importierter Whisky oder Rum war von jeher ausgesprochen teuer. Man legte im Freundeskreis zusammen, um sich eine Flasche leisten zu können. Um das Investment länger auskosten zu können, wurde der Schnaps mit reichlich Sodawasser verdünnt. Ein weiterer Grund ist, dass Thailändern – wie vielen Asiaten – ein bestimmtes Körperenzym fehlt, das Blutalkohol abbauen hilft. Das Hinunterstürzen von drei oder vier Schnapsgläsern würde die meisten Einheimischen blitzschnell sturzbetrunken machen und der vermeintlich schöne Abend wäre allzu vorzeitig zu Ende. Das ist ja auch alles schön und gut. Wenn ich aber mit ansehen muss, wie ein 12 oder 15 Jahre alter schottischer Single Malt mit Fluten von Sodawasser vergewaltigt wird, ist bei mir der Zapfen aus. Leider geht es in Thailand aber vielfach nicht um den Genuss eines besonders guten Tropfens, sondern es wird gesoffen um des Saufens willen; und um das durchzuziehen, ist Sodawasser Mittel zum Zweck. Alles was Sie zu Ihrer Verwunderung nun noch brauchen, ist, an einem Straßenstand eine Cola zu bestellen, die Ihnen dann in einen Plastikbeutel abgefüllt mit Trinkhalm überreicht wird.

Erschienen in der TIP-Ausgabe 2012-09-2

 

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