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Die seichten Ansichten einer Haushälterin

von Thomas Schmid, Bangkok

HaushälterinFoto: pixabay

Meine Haushälterin habe ich nun bereits seit rund sieben Jahren. Sie wurde mir von der Hausbesitzerin empfohlen und ich war froh, mich nach meinem Umzug nicht selbst auf die Suche nach einer Haushälterin machen zu müssen. Sie kommt zweimal die Woche und erledigt das Wenige, was in einem Einpersonenhaushalt zu tun ist. Dabei muss sie nicht einmal Wäsche waschen oder kochen, denn das Erstere vertraue ich einer Wäscherei an und das Zweite übernehme ich. Es bleibt also nur das generelle Reinemachen.

Ich komme gut mit ihr zurecht, auch wenn ihre Putzkünste bisweilen zu wünschen übrig lassen und ich sie sporadisch auf gewisse Dinge hinweisen muss, die sie allzu gerne übersieht oder „vergisst“. Trotz dieser wiederholten Ermahnungen hat sie in sieben Jahren praktisch nichts dazu gelernt bzw. sich zu Herzen genommen. Ein anderer hätte sie wahrscheinlich schon längst gefeuert. Mir wäre es jedoch ein Gräuel, mir eine neue Haushälterin suchen zu müssen, der ich auch vertrauen kann. Ehrlich ist sie nämlich, meine jetzige, und sie hat noch niemals etwas „aus Versehen“ eingesteckt. Außerdem täte es mir leid, sie entlassen zu müssen, denn sie arbeitet als ungelernte Kraft tagsüber am Fließband in der nahe gelegenen Fabrik des Getränkeherstellers Osothsapha und erhält dafür lediglich das Minimumgehalt von 300 Baht pro Tag, mit dem sie ihre drei Kinder durchbringt.

Sie ging nämlich nur vier Jahre lang zur Schule und ist damit repräsentativ für einen Großteil der modernen Bevölkerung Thailands. Näher betrachtet bedeutet das selbstverständlich, dass ich es mit einer Endvierzigerin zu tun habe, die auf dem Bildungsstand einer Viertklässlerin stehen geblieben ist. Das manifestiert sich gelegentlich in ihren etwas sehr seltsamen Ansichten und einem nahezu erschreckenden Mangel an Allgemeinwissen.

Das Mysterium der Zeitverschiebung

Als ich neulich aus den USA zurückkam, fragte sie mich am darauffolgenden Tag, weshalb ich denn so müde aussähe. Ich entgegnete, ich wäre runde 30 Stunden in Fliegern gesessen und hätte außerdem mit der Zeitverschiebung zu kämpfen. „Was soll denn das sein, Zeitverschiebung?“ knallte sie mir an den Latz. „Es ist jetzt 13 Uhr in Thailand, aber in den USA ist es erst 2 Uhr morgens und ich fühle mich deshalb müde, weil mein Körper immer noch an amerikanische Zeit gewöhnt ist und sich erst wieder an thailändische Zeit anpassen muss“, erklärte ich ihr. Wie das denn sein könne, dass hier eine andere Zeit herrsche, als „dort drüben“, denn immerhin würden wir ja alle auf dem gleichen Planeten leben. Und überhaupt: Sie glaube mir kein Wort, denn wahrscheinlich hätte ich nur zu viele Partys in Amerika gefeiert. Ich traute meinen Ohren nicht!

Um ihr das Konzept der Zeitverschiebung näher zu bringen, nahm ich aus dem Kühlschrank eine Orange, die als Sonne dienen sollte, sowie eine Tomate, die als Erde herhielt. Mit einem Filzschreiber malte ich zwei Punkte auf die Tomate: Der eine repräsentierte Thailand, der andere auf der gegenüberliegenden Seite stellte die USA dar. Sie wissen bereits, wie diese Demonstration durchgeführt wurde, geneigter Leser, deshalb brauche ich es an dieser Stelle nicht auszuführen. Aufmerksam hörte mir meine Haushälterin zu, während sie gebannt verfolgte, wie ich die Tomate langsam um die Orangen-Sonne kreisen ließ. Dann der Hammer: Ja, sie verstehe schon, worauf ich hinaus wollte, sagte sie, aber ich hätte dennoch gravierende Fehler gemacht. Ersten wisse ja jeder, dass die Sonne (genauso wie der Mond) um die Erde kreise, und nicht umgekehrt! Zweitens hätte ich sowieso Thailand viel zu klein gezeichnet. Wie Sie mir sicherlich nachfühlen können, gab ich resigniert auf.

Das Cola-Experiment

Zu einer anderen Gelegenheit ermahnte sie mich, ich solle nicht so viel Cola trinken. Das wäre nicht gut für mich, denn es enthielte so viel Zucker. Ich war erstaunt, dass sie das überhaupt wusste! Dennoch musste ich ihr widersprechen: „Ich trinke erstens nicht viel Cola und zweitens sowieso ausschließlich Coke Zero.“ „Das ist vollkommen egal“, belehrte sie mich. „Cola ist Cola!“ Diese Ansicht wäre falsch, entgegnete ich, denn „Coke Zero“ enthalte keinen Zucker. Null, Nada, Nix! Da läge ich aber gewaltig auf dem Holzweg, ließ sie mich wissen, denn jede Cola-Marke enthalte Zucker. Ich hielt ihr das thailändische Etikett vor die Nase. Das könne sie nicht entziffern, weil es zu klein geschrieben wäre, entschuldigte sie sich. (In Wirklichkeit hat sie freilich in ihren vier Jahren Schulbildung niemals fließend lesen gelernt, wie ich im Verlauf der vergangenen Jahre in verschiedenen Situationen wiederholt feststellen durfte.) Kurzerhand begab ich mich darauf an meinen Computer und suchte auf YouTube nach einem bestimmten Video. Darin wird ein Experiment vorgeführt. Eine Flasche regulären Colas wird in einem Topf verdampft und es bleibt am Topfboden ein dicker, zäher Satz braunen Zuckers zurück. Auch eine Flasche Coke Zero wird der gleichen Prozedur ausgesetzt, natürlich mit dem Ergebnis, dass nach dem Verdampfen der Topfboden blitzeblank und ohne jegliche Zuckerrückstände verbleibt. Nachdem ich ihr dieses Video vorgeführt hatte, gestand sie ihre Ignoranz jedoch keineswegs ein. „Das ist doch nur ein Trick, damit die Leute mehr Coke Zero kaufen, denn in Thailand will das keiner trinken“, wiegelte sie das Video ab. Aber auch auf dem thailändischen Etikett stehe klar und deutlich, dass „Coke Zero“ keinen Zucker enthalte, konterte ich. Ich konnte erkennen, wie ihre grauen Gehirnzellen zu rattern und zu zischen begannen. Nach kurzem Brainstorming wandte sie sich jedoch auf dem Absatz um und murmelte beim Weggehen über ihre Schulter: „Cola ist Cola!“

Von Brot kann man nicht satt werden!

Eine Ernährungswissenschaftlerin ist sie beileibe nicht, meine Perle. „Ich verstehe gar nicht, dass die ‚Farang‘ immer so viel Brot essen. Davon kann man doch nicht satt werden. Nur wenn man Reis isst, wird man auch satt“, sagte mir die Dame, der zusammen mit ihren Landleuten von Kindesbeinen indoktriniert wurde, dass man als anständiger Thailänder gefälligst zu jeder einzelnen Mahlzeit eine ordentliche Portion Reis zu verzehren hat. Ob sie wisse, aus was Brot gebacken würde, befragte ich sie. Natürlich hatte sie keine Ahnung. „Brot besteht aus Getreidemehlen wie beispielsweise Weizen oder Roggen; und auch Reis ist ein Getreide“, erklärte ich in schulmeisterlicher Manier. Das wäre vollkommen schnuppe, widersprach sie, denn Weizen oder Roggen könne man mit Reis schon einmal überhaupt nicht vergleichen. „Alle Getreide enthalten das gleiche, nämlich Stärke. Und es ist diese Stärke, die satt macht. Deshalb spiele es keine Rolle, welches Getreide man verzehrt. Man wird davon allemal satt“, argumentierte ich auf etwas simplifizierte Weise, um ihr Viertklässler-Gehirn nicht zu sehr zu strapazieren. Nicht dass ich damit Erfolg gehabt hätte. Sie belächelt mich bis heute jedes Mal, wenn sie mich Brot essen sieht und bewertet sich aufgrund ihrer eigenen Reis-Mono-Diät mir gegenüber im Stillen wahrscheinlich als haushoch überlegen. Ich meine, wer seinen Kohlenhydratbedarf außer Reis auch noch aus anderen Getreiden, Hülsenfrüchten und Kartoffeln stillt, kann ja wirklich nicht alle Tassen im Schrank haben, nicht wahr?

Warum haben Sie denn Deutsch gelernt?

Meine Haushälterin weiß, dass ich Deutscher bin. Dass wir dort im Allgemeinen aber auf Deutsch reden, scheint ihr in ihren beinahe 50 Jahren bislang jedoch entgangen zu sein. Vor einigen Monaten lauschte sie einem Telefongespräch, das ich mit einem deutschen Bekannten führte. „Was war denn das für eine seltsame Sprache?“, wollte sie anschließend wissen. „Das war Deutsch“, antwortete ich wahrheitsgemäß, woraufhin sich ihr Antlitz mit einem reichlich belämmerten Ausdruck überzog. „Warum haben Sie denn Deutsch gelernt?“, fragte sie mich, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich hätte es nicht gelernt, sondern Deutsch wäre meine Muttersprache, weil ich eben … (räusper) … Deutscher wäre. „Ja, aber ihr ‚Farang‘ sprecht doch alle auf Englisch …“ entgegnete sie völlig verwirrt. Glauben Sie es mir oder nicht, geneigter Leser, aber ich verbrachte gute zehn Minuten damit, ihr klar zu machen, dass Deutsche in aller Regel auf Deutsch miteinander reden, Franzosen auf Französisch, Spanier auf Spanisch, Italiener auf Italienisch; und obwohl viele von uns ebenfalls des Englischen mächtig wären, so hätten wir es dennoch dereinst in der Schule erlernen müssen, genauso wie viele Thailänder. Nicht dass sie jemals die Gelegenheit dazu erhalten hatte. Ich bin auch bis heute nicht sicher, ob meine Ausführungen bei ihr eingesickert sind oder nicht.

Wir wollen abschließend hoffen, dass sie nicht irgendwann in naher Zukunft aus allen Wolken fällt, wenn sie vielleicht einen Russen mit einem Landsmann auf Russisch sprechen hört! Das würde die große weite Welt für sie noch mysteriöser und unverständlicher machen. Besonders wenn sie zu allem Überfluss noch erfährt, dass auch in Russland viel Brot gegessen und Coke Zero getrunken wird und Moskau Thailand ganze drei Stunden hinterherhinkt.

Erschienen in der TIP-Ausgabe 2015-6

 

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