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Monogamie – (fast) ein Fremdwort in Thailand?
von Thomas Schmid, Bangkok
Foto: RoyBuri
Wenn man so lange in Thailand gelebt hat wie ich, lernt man seine Pappenheimer über kurz oder lang kennen und blickt hinter die Kulissen. So „viktorianisch verklemmt“ oder „puritanisch tabuisierend“ sich Thailands Gesellschaft hinsichtlich aller Dinge, die Sex oder Sexualität betreffen, nach außen hin auch geben mag, sieht die Wirklichkeit freilich ganz anders aus. Da wird zumindest hinter den Kulissen der potemkinschen Dörfer vorgespielter Scham nämlich gerammelt, dass sich die Balken biegen – und zwar von Männlein und Weiblein gleichermaßen. Auch wenn Einheimische es öffentlich niemals zugeben würden und oft sogar vehement abstreiten, dass fleischliche Lust eine der Triebfedern der hiesigen Gesellschaft ist, so kann wohl niemand ernsthaft behaupten, mittlerweile über 65 Millionen Thailänder seien an Bäumen gewachsen. Obwohl es bei dem bisweilen lächerlich wirkenden, oberflächlich tugendhaften Gehabe manchmal den Anschein haben könnte.
Das soll auch gar nicht heißen, dass alle Thailänder quer durch die Bank sexsüchtig wären. Nein, genauso wie anderswo auf der Welt, so existieren auch hierzulande die einen und die anderen. Nur, dass die „anderen“ für jeden, der seine Augen offen hält, in Thailand ganz klar einen Großteil unter der Bevölkerung ausmachen. Das mag auf der einen Seite daher kommen, dass man sich „traditionell“ – und natürlich auch, weil es in Thailand keine echte Altersversorgung gibt – bei beiden Geschlechtern einfach dazu verpflichtet fühlt, eine Großfamilie aufzuziehen. Auf der anderen Seite ist es in dieser patriarchalisch zentrierten Gesellschaft einfach so eingebürgert, dass der Mann tun und lassen kann, was er in Sachen sexueller Ausschweifungen wünscht, ohne dass er irgendwelche Verantwortung zu übernehmen hätte. Die Frau zieht (meistens) mit, denn wie wir wissen gehören zum Tangotanzen ja stets zwei Personen.
Womit wir bei der Treue wären. Eine gesunde Sexualität darf niemandem als „schlecht“ oder „abartig“ vorgehalten werden und sie soll auch nicht zu nagenden Gewissensbissen führen. Aber wenn man sich schon „aus Liebe“ einen festen Partner auserkoren hat, gebietet es irgendwie der gegenseitige Respekt, dass sich das betreffende Paar zumindest so lange die Treue hält, wie das Liebesverhältnis intakt bleibt. Sie können mir nun zustimmen oder auch nicht, geneigter Leser, aber für mein Moralverständnis ist das Dreigespann Liebe-Treue-Vertrauen die absolute Grundvoraussetzung einer dauerhaften Partnerschaft. Es ist sozusagen ein unlösbar miteinander verwirktes Triumvirat; oder wenn sie wollen, der gordische Knoten menschlicher Zuneigung, dessen metaphorische gewaltsame Zerschlagung (z.B. durch außerpartnerschaftliche Sexeskapaden) so ziemlich jeder in ihm zusammengeschweißten Partnerschaft unweigerlich den Garaus macht.
Solche Gedankengänge scheinen im „Land der Freien“ jedoch nicht unbedingt das Geringste zu bedeuten angesichts der weitverbreiteten – aber normalerweise unter den Teppich des Schweigens gekehrten – Unsitte, auch außerhalb der festen Partnerschaft nach Möglichkeit nichts anbrennen zu lassen. Besonders die sogenannten Herren der Schöpfung befinden es auch nahezu exakt 80 Jahre nach der offiziellen Aufhebung der Vielweiberei in Thailand (die seit dem 1. Oktober 1935 illegal und damit strafbar ist!) noch immer als ihr gutes Recht, sich neben ihrer „Hauptfrau“ auch noch mehrere „Nebenfrauen“ zu halten (auch wenn sie sie nicht standesamtlich heiraten dürfen). Alte Sitten sind schwierig auszumerzen.
Trotz dieser Anschuldigungen gegen die Herren kommen die Damen selbstverständlich nicht gänzlich ungeschoren davon. Auch sie haben es mitunter nämlich weitaus faustdicker hinter den Ohren, als man glauben möchte. Während „Nebenfrauen“ für den Herrn eher ein Symbol seiner Maskulinität und (meistens völlig übertriebenen) sexuellen Virilität sind, wofür er von seinen Kumpels anerkennend auf die Schultern geklopft wird („Du bist ja ein toller Hengst!“), stellen „Nebengatten“ im Allgemeinen lediglich eine zusätzliche Einnahmequelle zur Bestreitung des Lebensunterhalts dar. Und selbst wenn der Beweggrund auch nicht ausschließlich finanzieller oder materieller Art sein sollte, so mag zumindest die Lust nach sexueller Abwechslung eine Rolle spielen. Im Endeffekt will ich herausstellen, dass sich im „Land der Freien“ in Sachen außerehelicher oder außerpartnerschaftlicher sexueller Affären eine ziemlich ausgewogene Yin-und-Yang-Proportionalität herausgebildet hat. Eine Seite ist genauso schuldig wie die andere und keiner von beiden kann der Schwarze Peter exklusiv hingeschoben werden.
Sie denken, ich sauge mir das alles aus den Fingern, geneigter Leser? Von wegen! Im Laufe der Jahre haben mitunter renommierte demografische Forschungsinstitute die Ergebnisse entsprechender Umfragen publiziert, in denen Thailand bezüglich seiner sexuellen Freizügigkeit (Promiskuität) stets einen der weltweit vordersten Plätze einnahm. „Na, wenigstens endlich einmal etwas, in dem Thailand wirklich Spitze ist“, mag der zynische Schelm dabei im Stillen murmeln, „und nicht so an den Haaren herbeigezogen, wie all die anderen globalen Spitzenplätze, über die Thailands Politiker und Akademiker so gerne fantasieren und die sich niemals realisieren.“
Ich erinnere mich noch schmunzelnd an eine solche Umfrage, die der bekannte Kondomhersteller Durex vor etwa einem halben Jahrzehnt (Nageln Sie mich nicht fest!) veröffentlichte. „Wie gut, dass Durex sich entschlossen hatte, auch Länder in Afrika in die Studie mit einzubeziehen“, dachte ich mir damals. Nur so blieb Thailand nämlich der Spitzenplatz in Sachen außerpartnerschaftlicher Affären erspart. Auf Platz 1 kam stattdessen Ghana, wo Männlein und Weiblein gleichermaßen laut der Resultate freimütig zugaben, es noch toller zu treiben als die Bewohner im „Land der Freien“.
Die neueste Studie, über die ich erst vor wenigen Tagen gestolpert bin, wurde von der Edutainment-Webseite The Richest (www.therichest.com) veröffentlicht. Für sie fasste die Webseite die prominentesten offiziellen Studien des vergangenen Jahrzehnts – darunter auch die oben genannte Durex-Umfrage – zusammen und analysierte sie, um herauszufinden, in welchen zehn Ländern weltweit es die Allgemeinbevölkerung mit ehelicher Treue nicht so strikt nimmt. Es wurden daher lediglich Studien herangezogen, für die verheiratete Personen befragt worden waren.
Möglicherweise haben Sie es bereits erraten, geneigter Leser, aber ich will es Ihnen dennoch brühwarm unter die Nase binden: Thailand wurde mit dem dubiosen (da nicht besonders rühmlichen) ersten Platz geehrt und ließ die gesamte „Konkurrenz“ weit abgeschlagen hinter sich! Gemäß der zusammengefassten Datenanalyse haben (oder hatten) geschlagene 56 Prozent verheirateter Thailänder beider Geschlechts mindestens eine außereheliche Affäre. Selbstverständlich muss dabei angenommen werden, dass es nicht in die Resultate mit einfloss, ob jemand gleich mehrere „Nebenfrauen“ (oder „Nebengatten“) unterhält. Untreu ist untreu, Affäre ist Affäre. Basta. Thailand war übrigens das einzige asiatische Land, das triumphalen Einzug in diese konsolidierte Statistik hielt.
Doch auch wir Europäer dürfen frohlocken, denn alle nachfolgenden neun Plätze werden von uns belegt. Dänemark, in dem „nur“ 46 Prozent eine Affäre zugaben, lag dennoch ganze 10 Prozent hinter Thailand. Auf dem dritten Platz fand sich Deutschland wieder (45%) und bewies, dass viele unter uns es sich offensichtlich abgewöhnt haben, ausschließlich „Zuhause zu essen“ und es fast mit den Dänen aufnehmen können. Zumindest sind wir aber mindestens ebenso „affärenfreundlich“ eingestellt wie die Italiener, die ebenfalls 45 Prozent erhielten, aber nur auf Platz 4 landeten, weil „i“ im Alphabet halt nun einmal nach „d“ kommt. Auch auf den verbleibenden sechs Plätzen zeigten sich die Mitgliedsstaaten der EU vereint wie selten: Platz 5 ging an Frankreich (43%), gefolgt von Belgien und Norwegen, die laut Studie jeweils 40 Prozent untreue Damen und Herren beherbergen, wofür ihnen Platz 6 und Platz 7 gebührte. Feuriger Flamenco, süffiger Sangria und nicht zuletzt eine gehörige Portion überschüssiges Testosteron/Östrogen katapultierten Spanien mit 39 Prozent auf Platz 8, während Finnland und Großbritannien mit jeweils 36 Prozent respektive immerhin noch Platz 9 bzw. Platz 10 erreichten. Etwas enttäuscht war ich, dass weder die Schweiz noch Österreich in der Rangfolge erschienen. Vielleicht habe ich ihnen doch etwas zu viel zugetraut …
Falls Sie trotz aller dieser schockierenden Offenbarungen jetzt immer noch glauben, Ihre thailändische Ehefrau oder Freundin wäre „ganz anders als die anderen“, bedenken Sie bitte, dass laut Studien-Analyse immerhin eine 56-prozentige Chance besteht, dass sie potenziell nicht anders ist. Der junge, fesche, einheimische Bursche auf dem klapprigen Moped, der sie gelegentlich abholt und den sie Ihnen gegenüber wiederholt als ihren „jüngeren Bruder“ vorgestellt hat, könnte unter Umständen vielleicht doch einen ganz anderen Stellenwert im Leben ihrer Lotosblume einnehmen, als es Ihnen lieb ist. Nicht dass ich etwas unterstellen will …
Erschienen in der TIP-Ausgabe 2015-3