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Aberglaube spielt eine wichtige Rolle bei Verbrauchern und Geschäftsleuten
Foto: TIP-Archiv
Nicht nur beim Erwerb von Lotteriezahlen oder beim Hausbau nimmt der Glaube an das Übernatürliche eine wichtige Stellung in Thailand ein. Auch bei geschäftlichen Entscheidungen und Verbraucherverhalten kommt Aberglauben oftmals ins Spiel, berichtete das örtliche Nachrichtenportal Thai PBS World; übersetzt von Thomas Schmid.
Thailänder verlassen sich nicht ausschließlich auf Statistiken und Finanztabellen wenn finanzielle Entscheidungen gefällt werden müssen, sondern greifen bei der Abwägung von Risiken auch auf Talismane und magische Objekte zurück.
Aberglaube bzw. das Vertrauen in das Übernatürliche existiert natürlich in ziemlich jeder Kultur auf der Welt in mehr oder minder starkem Maße. Aber dennoch tendieren Thailänder weitaus stärker zu abergläubischen Praktiken als es anderswo der Fall sein mag, behauptet eine Studie von Dr. Theeranuch Pusaksrikit, einer Dozentin an der Chulalongkorn-Wirtschaftsschule der Chulalongkorn-Universität.
Laut dem zusammen mit ihren Kollegen Sydney Chinchanachokchai und Siwarit Pongsakornrungsilp verfassten Studienpapiers über das Risikoverhalten thailändischer Verbraucher demonstriert Theeranuch, dass Aberglaube eine wichtige Rolle nicht nur bei Verbrauchern, sondern auch bei der Fällung geschäftlicher Entscheidungen spielt.
„Manche Geschäftsleute fühlen sich selbstbewusster, Geschäftsrisiken einzugehen, nachdem sie eine [angebliche] übernatürliche Erfahrung gemacht haben“, sagte Theeranuch gegenüber Thai PBS.
Theeranuchs und ihre Kollegen observierten im Verlauf ihrer Studie, auf welche Weise Studienteilnehmer reagierten, wenn ihnen ein Objekt überreicht wurde, welches im Studienpapier lediglich als „magischer Füllfederhalter“ bezeichnet wurde. [Der Thai PBS-Bericht machte keine genaueren Angaben, um was für ein Objekt es sich exakt handelte, doch es war offenbar ein Schreibgerät, von dem die Forscher ihren Probanden gegenüber behaupteten, es besäße „magische Kräfte“; Anmerkung d. Redaktion]
Das Forscherteam beobachtete daraufhin, dass Studienteilnehmer, die im alltäglichen Leben eigentlich nur passiv abergläubisch sind, nach Erhalt dieses „magischen Füllfederhalters“ plötzlich deutlich risikobereiter wurden.
Das Experiment demonstrierte, dass passiv abergläubische Individuen, die in den Besitz abergläubischer Objekte wie beispielsweise Amulette gelangen, ein stärkeres Selbstbewusstsein entwickeln, was sie zu höherer Risikobereitschaft ermutigt, wie zum Beispiel zum Abschluss höherer Glücksspielwetten oder zum Ankauf hochriskanter Wertpapiere.
Die Studie fand außerdem heraus, dass der „magische Füllfederhalter“ auf der anderen Seite das Verhalten proaktiv-abergläubischer Probanden nicht wesentlich veränderte, weil sie sich – selbst wenn sie keinen „magischen Füllfederhalter“ erhielten – ganz einfach an eine andere persönliche abergläubische Erfahrung klammerten, um dadurch ihrem Selbstbewusstsein einen Schub zu verleihen, wenn sie ein Risiko eingehen mussten.
Proaktiv-abergläubische Menschen sind solche Individuen, die sämtliche Lebenslagen und -umstände mittels „magischer Objekte“ oder „übernatürlicher Erfahrungen“ zu kontrollieren und zu lenken versuchen. Im Gegensatz dazu sind passiv-abergläubische Menschen solche, deren Aberglaube lediglich zum Vorschein kommt, wenn sie mit Umständen konfrontiert werden, die sich ihrer Kontrolle entziehen.
Die richtigen Lotteriezahlen
„Im Gegensatz zu Menschen in anderen Teilen der Welt tendieren Thailänder dazu, sich dem Aberglauben zuzuwenden, wann immer sie wichtige Entscheidungen zu fällen haben“, sagte Theeranuch. Das allgegenwärtigste Beispiel dafür wäre die leichtsinnige Art, auf welche Glücksspieler nach den korrekten Lotteriezahlen Ausschau hielten.
„Glücksspieler in anderen Ländern begnügen sich zumeist damit, zum Beispiel ihre Geburtsdaten oder ihre Nummernschilder zu tippen. Bei Thailändern ist das anders. Einige Einheimische suchen vor dem Kauf ihrer Lose gezielt nach einer schwangeren Losverkäuferin, weil sie dem [traditionellen] Aberglauben unterliegen, eine schwangere Frau brächte mehr Glück [als eine Nichtschwangere]. Aber das geht noch weiter. Viele einheimische Glücksspieler reiben zum Beispiel oft stundenlang die Rinde irgendeines ,heiligen Baumes‘ in der abergläubischen Überzeugung, dass sie dadurch auf der Rindenoberfläche früher oder später die korrekten Lotteriezahlen quasi ,freirubbeln‘ könnten“, sagte Theeranuch.
Abergläubische Praktiken sind zudem sehr wichtig bei vielen Verbrauchern sowie beim Fällen geschäftlicher Entscheidungen. Während Chinesen fest daran glauben, die Zahl 8 sei verheißungsvoll, so ist für Thailänder stattdessen die Zahl 9 glücksverheißend, da ihre thailändische Aussprache genauso klingt wie die Aussprache des Begriffs für „Voranschreiten“ [im Sinne von „in eine glückliche Zukunft schreiten“; Anmerkung d. Redaktion]. Anhand dieser abergläubischen Auffassung ist es auch zu erklären, warum Nummernschilder mit den Endziffern „9999“ bei Auktionen stets millionenschwere Endgebote erzielen. Darüber hinaus konsultieren viele neu gegründete Firmen „Numerologen“ bevor sie die Entscheidung fällen, an welchem Standort sie ihren Verkaufsladen oder ihre Geschäftsräume einrichten sollen.
So einige Vermarkter kapitalisieren aus diesem Trend. Beispielsweise hat ein gewisser Hersteller von Schreibgeräten vor Kurzem ein Set von sechs Kugelschreibern auf den Markt gebracht, von denen jeder mit einer andersfarbigen Tinte gefüllt ist. Jede dieser Farben wird mit einer anderen Emotion in Verbindung gebracht: Eine Farbe steigert angeblich das Liebesglück, wieder eine andere steigert das Glück in geschäftlichen Angelegenheiten usw.
Anstatt sich nur einen einzigen dieser Kugelschreiber zuzulegen, kaufen manche der Kunden das gesamte Set, weil sie sich dadurch erhoffen, ihr Glück in sämtlichen Lebenslagen zu verbessern. (Anmerkung: Der von Theeranuch im Verlauf ihrer Studie an Probanden überreichte „magische Füllfederhalter“ stammte ausdrücklich nicht aus der beschriebenen Kollektion, sondern es handelte sich um ein willkürlich ausgewähltes, handelsübliches Schreibgerät.)
Vermarktungstaktiken
Viele Verkäufer nutzen sogenannte „harte Vermarktungskampagnen“ wie z. B. TV-Werbespots oder Anzeigen, mit denen sie als „geheiligte Objekte“ angepriesene Waren an den Mann (oder die Frau) zu bringen gedenken.
„Diese Objekte sollen angeblich dabei helfen, das Selbstbewusstsein des Besitzers zu steigern, wenn er oder sie Risiken ausgesetzt ist. Allerdings suggeriert unsere Studie aber auch, dass Individuen außerdem sehr einfach durch Vermarktungskampagnen beeinflusst werden können, die sich am Aberglauben aufhängen. Wenn Verbraucher sich in einer Situation der Unsicherheit wiederfinden oder Entscheidungen zu fallen haben, machen sie nicht immer rational nachvollziehbare Erwägungen“, sagte Theeranuch.
Es ist deswegen durchaus im Bereich des Möglichen, dass abergläubische Verbraucher durch solche Vermarktungskampagnen angelockt und übervorteilt werden [auf gut Deutsch: Bauernfängerei; Anmerkung d. Redaktion). Zum Beispiel könnten sie zum Kauf defekter [oder wirkungsloser] Produkte verleitet werden, nur weil diesen Produkten angeblich irgendwelche übernatürliche Kraft oder Wirkung innewohnen soll.
Schon aus diesem Grund alleine muss die Öffentlichkeit besser über solche mit Aberglauben in Verbindung gebrachte Vermarktungskampagnen aufgeklärt werden, forderte Dr. Theeranuch.
Es ist ironisch, dass Thailänder zwar in das digitale Zeitalter Einzug nehmen, gleichzeitig der Trend zum Aberglauben dadurch offenbar aber jedoch nur noch stärker hervortritt. „Die Menschen werden anfälliger [für Aberglauben] und brauchen materielle Objekte, mit denen sie ihr Selbstbewusstsein steigern“, stellte die Forscherin fest.
Die Erkenntnisse der Studie zeigen außerdem auf, dass Heranwachsende und Menschen mit niedrigen Einkommen bereit sind, höhere Risiken einzugehen je stärker sie sich dem proaktiven Aberglauben zuwenden. Das liegt daran, dass proaktiver Aberglaube ihnen zumindest subjektiv mehr Hoffnung, Einflussnahme und Kontrolle verspricht.
„Die Ergebnisse der Studie beweisen, wie abergläubische Individuen in ihrem Alltagsleben zu Opfern versteckter Risiken und riskanter Aktivitäten werden können“, kam Dr. Theeranuch zum Schluss.
Erschienen in der TIP-Ausgabe 2019-11.
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